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Merkel heuchelt Mitleid mit Flüchtlingen

Mittwoch 2. September 2015, von Robert Paris

„Merkel hat endlich die richtigen Worte gefunden“, „Merkels Worte machen Mut“ und „Plötzlich Flüchtlingskanzlerin“ lauten die Schlagzeilen zur traditionellen Sommer-Pressekonferenz, die die Bundeskanzlerin am Montag in Berlin gab. Die Hauptstadtpresse fiel in Entzücken, weil Merkel von der „Menschenwürde“ und dem „unfassbaren Leid“ der Flüchtlinge sprach, das Flüchtlingsproblem als „nationale Aufgabe, die jeden angeht“, bezeichnete und ausländerfeindlichen Gewalttätern „mit der ganzen Härte des Rechtsstaates“ drohte.

Tatsächlich hat sich die Politik der Bundesregierung nicht verändert. Sie ist weiterhin von brutaler Rücksichtslosigkeit gegen die Flüchtlinge geprägt, die aus den Kriegsgebieten im Nahen Osten und Afrika um ihr Leben fliehen.

Merkel selbst hat sich monatelang nicht zum Schicksal der Flüchtenden und den Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte geäußert. Noch Mitte Juli erregte ein Video Aufsehen, das zeigt, wie Merkel eine palästinensische Schülerin zum Weinen bringt, indem sie ihr in gefühllosem Bürokratendeutsch auseinandersetzt, weshalb sie trotz ihrer hervorragenden Schulleistungen möglicherweise abgeschoben wird.

Dass Merkel nun einen anderen Ton anschlägt, hat im Wesentlichen zwei Gründe.

Zum einen hat sie die Stimmung in der Bevölkerung völlig falsch eingeschätzt. Trotz eifrigem Bemühen, insbesondere der sächsischen CDU und der bayrischen CSU, ist es der Regierung nicht gelungen, in größerem Umfang ausländerfeindliche Stimmungen zu schüren. Den Flüchtlingen strömt eine Welle der Hilfsbereitschaft entgegen, die durch Brandanschläge und Neonazi-Demonstrationen vor ihren Unterkünften eher noch verstärkt wurde. Viele Menschen verstehen instinktiv, dass die Flüchtlinge Opfer einer Politik sind, die auch sie bedroht.

Merkels geheucheltes Mitgefühl dient dazu, diese Stimmungen aufzufangen. Die Pfarrerstochter aus der DDR ist darin geübt. Sie verdankt ihren erstaunlichen politischen Aufstieg nicht dem Kampf für eigene Überzeugungen, sondern der Fähigkeit zu beobachten, abzuwarten und sich an den vorherrschenden Trend anzupassen, um ihn dann in eine reaktionäre Richtung zu lenken.

Zum anderen könnte die Regierung, selbst wenn sie möchte, den Zustrom von Flüchtlingen nicht sofort eindämmen. Das Dublin-Verfahren, das Asylbewerber jahrelang von Deutschland ferngehalten hat, ist praktisch zusammengebrochen. Das 1997 in Kraft getretene Übereinkommen schreibt vor, dass Flüchtlinge in dem EU-Land Asyl beantragen und bleiben müssen, indem sie zuerst europäischen Boden betreten. Für Deutschland, das keine Außengrenzen zu den Regionen besitzt, aus denen die meisten Flüchtlinge kommen, war dies äußerst vorteilhaft.

Die massive Zustrom von Flüchtlingen aus Syrien und anderen Ländern, die durch die militärischen und politischen Eingriffe der westlichen Mächte zerstört worden sind, hat das Dublin-Verfahren zum Einsturz gebracht. Die Flüchtenden werden abwechselnd mit brutaler Gewalt am Überqueren von Grenzen gehindert und so schnell wie möglich ins nächste Land weitertransportiert.

Das beginnt auf den griechischen Inseln, wo die Fliehenden nach der Überfahrt über die Ägäis unter unsäglichen Bedingungen hausen, und setzt sich fort an der Grenze zu Mazedonien, an der Grenze zu Serbien und an der Grenze zu Ungarn.

Die ungarische Regierung hat die Grenze zu Serbien inzwischen mit einem hohen Zaun abgeriegelt und erwägt den Einsatz des Militärs. Der Hauptbahnhof von Budapest wurde zeitweise blockiert und von Flüchtlingen geräumt. Am Montag konnten dann Tausende verzweifelte Flüchtlinge völlig überfüllte Züge besteigen, bevor der Bahnhof erneut abgeriegelt wurde. Die Züge wurden an der österreichischen Grenze, angeblich aus Sicherheitsgründen, erneut aufgehalten. Schließlich setzte Österreich Sonderzüge ein, um einen Teil direkt nach Deutschland weiter zu transportieren.

Hatte das Dublin-Verfahren bisher Flüchtlinge von Deutschland ferngehalten, schlägt es jetzt in sein Gegenteil um. Es gibt kein Land, in das die deutsche Regierung die Flüchtenden weiterschieben könnte.

Hinzu kommt, dass viele EU-Länder, allen voran Griechenland, durch die von Berlin erzwungene Austeritätspolitik derart verarmt sind, dass die Flüchtlinge sich in Deutschland bessere Bedingungen versprechen. Merkel war zynisch genug, dies als Beweis dafür anzuführen, dass „die Welt Deutschland als ein Land der Hoffnung und der Chancen sieht“. „Dies war wirklich nicht immer so“, fügte sie unter Verweis auf die deutsche Geschichte hinzu.

Studiert man Merkels Aussagen vor der Hauptstadtpresse genauer, so versucht sie, Zeit zu gewinnen. Sie will den anderen EU-Mitgliedern ihre Bedingungen aufzwingen, die Flüchtlinge wieder an den Rand der EU verdrängen und – unter dem Vorwand des Kampfs gegen die Fluchtursachen – neue Kriege in Afrika und dem Nahen Osten führen.

Sie drängte darauf, dass andere europäische und insbesondere osteuropäische Länder mehr Flüchtlinge aufnehmen. „Europa als ganzes muss sich bewegen“, forderte sie. Versage Europa in der Flüchtlingsfrage, drohe die ganze EU Schaden zu nehmen. Gemeinsam mit Frankreich werde sie Druck machen, dass in Griechenland und Italien rasch Erfassungszentren eingerichtet würden.

Aus Brüssel verlautete, EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der eng mit Merkel zusammenarbeitet, drohe den EU-Mitgliedsstaaten in einem Brief mit Strafmaßnahmen, falls sie das Dublin-Verfahren nicht wieder einhalten. Den ungarischen Regierungschef Viktor Orbán will Juncker am Donnerstag in Brüssel persönlich ermahnen.

In Deutschland selbst soll die Bearbeitung von Asylanträgen wesentlich beschleunigt werden, so dass Abgelehnte schneller wieder abgeschoben werden können. So sollen Flüchtlinge in Zukunft so lange in den lagerartigen Erstaufnahmezentren bleiben, bis ihre Anträge bearbeitet sind, und erst dann für eine bessere Unterbringung an die Kommunen überstellt werden.

Bis zum 24. September will die Regierung ein Programm vorlegen, das unter dem Vorwand des Abbaus bürokratischer Hürden die Standards für die Unterkünfte deutlich senkt. So sollen etwa die Vorschriften für den Brand- und Emissionsschutz gelockert werden.

Merkel versprach, dass der Bund die Länder und Kommunen mit „Milliarden“ unterstützen werde, um die Kosten für die Unterbringung und Verwaltung der Flüchtlinge zu tragen. Einen genauen Betrag nannte sie nicht. Es wird aber davon ausgegangen, dass die Summe weit unter den fünf Milliarden Euro liegen wird, die Finanzminister Schäuble allein in diesem Jahr aufgrund der günstigen Konjunktur zusätzlich einnimmt.

In den Medien werden zunehmend Stimmen laut, die fordern, die Ursache der Flüchtlingskrise an ihren Wurzeln zu bekämpfen – d.h. militärisch in den Ländern einzugreifen, die bereits durch frühere westliche Militärinterventionen zerstört wurden.

So wetterte Richard Herzinger am Montag in der Welt gegen die „Verschwörungstheorie“, „der Westen habe durch seine aggressive Einmischung namentlich im Nahen Osten erst das blutige Chaos geschaffen, vor dem die Menschen nun millionenfach flüchten“. „Nicht das Eingreifen des Westens, sondern sein kopfloser Rückzug hat die Region explodieren lassen“, behauptet er und fordert: „Die aktuelle Krise mahnt den Westen, und namentlich Europa, nicht zu weniger, sondern zu deutlich mehr globalem Interventionismus.“ WSWS

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